Ob wir ärmer werden, hängt stark davon ab, wie die Kosten der Corona-Krise verteilt werden.
Die Finanzkrise hat uns gezeigt: Eine strenge Sparpolitik trifft die untersten Gesellschaftsschichten immer am stärksten. In den Ländern, die damals bei den sozialen Dienstleistungen nicht gekürzt haben, hat es danach nicht viel mehr Armut gegeben. Auch Österreich hat seit 2010 sinkende Armutszahlen. Wenn wir auch jetzt keine großen Sparprogramme schnüren, sondern in die Zukunft der Menschen investieren (also in Kinderbetreuung, Bildung, bezahlbares Wohnen, Pflege und Hilfen bei sozialen Notlagen), wird Österreich 2035 nicht ärmer sein. Entscheidend ist aber auch: Wie schaffen wir es, dass Menschen mit wenig Geld stärker an unserer Demokratie teilhaben? Mehr als die Hälfte des untersten Einkommensdrittels geht nicht mehr wählen. Diese Menschen sind zudem im politischen System unterrepräsentiert. Es sind die Leute mit mehr Geld, die über die Chancen von Menschen mit wenig Geld entscheiden – und die diese dann als „sozial schwach“ bezeichnen. Das ist eine Beleidigung. Sozial schwach ist ein Staat, der den Armen aus der Armut helfen könnte, es aber nicht tut.
Erschienen in : Die Zeit, Nr. 47/2020, 12. November 2020